Zur Ethik von Internetforschung zu Subkulturen in Japan

Präsentation beim 5. Next-Generation Global Workshop an der Kyoto University, 6-7.11.2012.

Ein Vortrag zu ethischen Fragen bezüglich Cyber-Ethnographie und der Erforschung japanischer Subkulturen.

Abstract

Das Internet wird zwar bis heute zu den „neuen“ Kommunikationstechnologien gezählt, ist aber kaum noch aus den Alltagserfahrungen der Menschen wegzudenken. Die Nutzerzahlen haben sich innerhalb der vergangenen Dekade weltweit vervierfacht und 70% der Bevölkerung in der „ersten Welt“ nutzen regelmäßig das Internet bei einem jährlichen Zuwachs von 2-3%. Die erste Generation der digital natives, die nach der Entwicklung des Internets geboren wurden und somit eine Welt ohne Internet nicht kennen, ist bereits erwachsen. Die weite Verbreitung von Breitbandanschlüssen und mobilen Endgeräten wie Smartphones trägt ihren Teil dazu bei, dass Internetnutzung keine außergewöhnliche Praktik mehr darstellt, sondern die „virtuelle“ Realität zur augmented reality geworden ist. Insbesondere die „sozialen Netzwerke“ bzw. entsprechende Services wie facebook und mixi, Internetforen oder die Mini-Blogging Plattform twitter übertreffen in der Nutzung weltweit zunehmend die „traditionellen“ Internetangebote wie E-Mail und Suchmaschinen.

Das Internet und seine Nutzung selbst ziehen medien-, sozial- und kulturwissenschaftliche Aufmerksamkeit auf sich und haben eine wachsende (digitale) Bibliothek an Fallstudien und groß angelegten Erhebungen hervorgebracht. Gleichzeitig eröffnet das Internet zahlreiche Möglichkeiten, als Werkzeug für die Wissenschaft eingesetzt zu werden – sei es zur Kollaboration oder zur Datenerhebung selbst. Das Potential für letztgenannte und die gleichzeitige, mangelnde media literacy für den Umgang mit persönlichen Daten haben Firmen wie Google schnell erkannt.

Genau hier sitzt das Problem für die Sozialforschung und setzt dieser Vortrag an: Die technischen und ethischen (Un-) Möglichkeiten des Internets. Nie war es einfacher, schnell Zugang zu „subkulturellen“ Gruppen wie fujoshi (weibliche Fans männlicher Homoerotik) oder cosplayern und ihren „westlichen“ Pendants zu erhalten. Bei mixi eingeloggt lassen sich einerseits über ein paar wenige Klicks willige Probanden für Interviews finden, zu denen man sich nicht einmal mehr treffen muss, dank Chatfunktion. Andererseits ist es möglich, sich ganze Diskussionen auf den eigenen Rechner zu laden und sogleich mit der Kodierung und Analyse zu beginnen. Selbst für sozialwissenschaftliche Studien erscheint somit ein Japanaufenthalt nicht mehr zwingend nötig. Die Pseudonymität des Internets erlaubt es sogar, sich als einer der Untersuchten zu „tarnen“ oder die eigene Herkunft zu verschleiern.

Die technologischen Hürden für derartige Vorgehensweisen (z.B. Identifikationsverifikation, Sprachgrenzen des Internets, vor Suchmaschinen versteckte Seiten) sowie methodologische Bedenken (z.B. systematische Fehler bei der Stichprobe, soziale Erwünschtheit) werden zwar ebenfalls behandelt, der Fokus des Vortrags liegt jedoch gerade auf den ethischen Aspekten der internetbasierten Forschung. Rechtfertigt das Streben nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die Mittel? Welche Probleme bestehen im Vergleich zu den ethischen Fragen ethnographischer Methoden im Allgemeinen? Das Internet gilt als öffentlicher Raum – gehören die Daten somit allen? Was ist jedoch, wenn man erst Mitglied in einer „geschlossen“ community werden muss? Muss man hier die eigene Forscheridentität offenbaren? Diese Frage stellt sich gerade in der transkulturellen Forschung. Als ausländischer Forscher provoziert man mitunter selbst-orientalisierende Antworten bei den japanischen Befragten (nihonjin-ron). Ist es also nicht sinnvoller, die eigene nationale Identität durch ein Pseudonym zu verschleiern? Anhand von Beispielen und Ergebnissen aus einem laufenden Forschungsprojekt zur transkulturellen Internetkommunikation sollen diese Fragen diskutiert werden.